(C3) Praxisbeispiele

Reale Fallbeispiele der individuellen Preisfindung

Auf den vorherigen Seiten wurden bereits die theoretischen Grundlagen und die Mechanismen der individuellen Preisbildung erörtert. Diese Seite beschäftigt sich mit konkreten Praxisbeispielen und der Verknüpfung dieser Beispiele mit wissenschaftlichen Studien. Diese realen Fälle und Forschungsergebnisse bieten tiefe Einblicke in die tatsächliche Anwendung und die Auswirkungen dieser innovativen Preisstrategien. ZU WENIG

Im Jahr 2000 konnte die englische Rundfunkanstalt BBC feststellen, dass auf dem Online Marktplatz Amazon verschiedene Nutzer unterschiedliche Preise für DVDs angeboten bekommen haben. Die von Amazon verwendeten Cookies ermittelten, ob es sich um einen Neu- oder Bestandskunden handelt. Preise für Bestandskunden fielen höher aus.  

2014 untersuchten Schleusener und Hosell verschiedene Branchen auf kundenspezifische Preise und stellten in ihren Untersuchungen fest, dass diese bei dem Reisebüro ab-in-den-urlaub, sowie der Dating Plattform Parship Verwendung fanden. Bei höherpreisigen Angeboten (>2000€) zahlten Apple Nutzer bis zu 34€ mehr. Ebenfalls zeigte sich, dass die Abonnement Preise von Parship teilweise von den bei der Anmeldung gestellten Fragen über das Gehalt abhängig sind. So schwankten die Preise für das günstigste Abo von 9,69€ bis hin zu 35,69€.

Die Untersuchung von Delapina in Bezug auf verschiedene Online-Märkte, Fluggesellschaften, sowie Reiseportale ergab, dass auf dem Portal booking.com unterschiedliche Preise für verschiedene Endgerätnutzer angeboten wurden. Ebenfalls fand Delapina einen Flug der Strecke Wien-Genf-Wien, welcher auf der Flugbuchungsplattform fluege.de bis zu 8,2 Prozent teurer für Notebooknutzer war.

Im Jahr 2022 fand die Authority for Consumers & Markets in den Niederlanden Evidenz dafür, dass der US-amerikanische Online-Marktplatz Wish ihren Kunden individuell personalisierte Preise anbietet und mit drastischen Rabatten lockt. Diese Rabatte basierten auf den Kaufpräferenzen und dem Standort der Kunden und führen zu einer Preisdiskriminierung ersten Grades. Kunden wurden jedoch nicht darüber informiert, dass diese Faktoren relevant für die Preisbildung waren. Nachdem die Authority for Consumers & Markets darauf aufmerksam gemacht hat, entschied Wish die individuelle Preisbildung zu unterlassen.

Ein Marktplatz, viele Preise

Die deutsche Verbraucherzentrale untersuchte unterschiedliche Preise auf Grundlage von individualisierter Preisfindung und stellte im jahr 2018 fest, dass auf Amazon besonders Elektronik Geräte, Beauty Produkte und Spielwaren von unterschiedlichen Preisen aufgrund verschiedener genutzter Endgeräte betroffen sind.

So untersuchten sie verschiedene Produkte dieser Branchen, welcher der E-Commerce Gigant, angeboten hat zu verschiedenen Zeitpunkten auf verschiedenen Geräten. Im Test kontrollierten sie den Preis eines Samsung Galaxy S7, eines Duschgels für Männer von Nivea, sowie das Kartenspiel „Wizard“ der Firma Amigo.

Von der deutschen Verbraucherzentrale kann festgestellt werden, dass es zwischen verschiedenen Endgeräten teilweise drastische Unterschiede gab, wenn es um den Preis einzelner Produkte ging. Das Duschgel für Männer von Nivea war auf mobilen Endgeräten bis zu 40 Prozent teurer, wohingegen das Kartenspiel Wizard der Firma Amigo auf dem Samsung Smartphone am günstigsten war. Besonders interessante Ergebnisse können für das Samsung Galaxy S7 festgestellt werden. Nicht nur war dieses Produkt am günstigsten auf einem Smartphone desselbigen Herstellers Samsung, sondern hatte ebenfalls den höchsten Preis auf dem Endgerät von Apple, dem größten direkten Konkurrenten. Innerhalb der verschiedenen Händler, welche auf Amazon ihre Produkte anbieten, gab es hierbei jedoch noch größere Abweichungen.

Apple Nutzer zahlten mehr

Im Jahr 2018 konnte die deutsche Verbraucherzentrale für den Händler virginia sears9465 die höchsten gemessenen Preisunterschiede für das Galaxy S7 von Samsung feststellen. Bis zu 45,99€ betrugen die Abweichungen, abhängig davon welches mobile Endgerät verwendet wurde, um sich das Produkt anzusehen. Weitere Untersuchungen der Preisunterschiede ergaben, dass einige dieser Diskrepanzen darauf zurückzuführen waren, dass nicht alle Modelle und Farbvarianten auf allen Geräten angezeigt wurden. Ein Teil der Preisunterschiede kann zwar dadurch begründet werden, jedoch erklärte dies nicht den vollständigen Kostenunterschied für die elektronischen Geräte.

 

Die Versandkostenproblematik

Die Versandkosten haben ebenfalls einen Effekt auf die Preise von verschiedenen Endgeräten. So betrug der Preis eines Haarwuchsmittels der Firma NHL Pharmacy auf einem Android Tablet 52,00 €, wohingegen das identische Produkt auf einem IPhone nur 47,99 € kostete. Hierbei war jedoch zu beachten das ein Apple Nutzer noch zusätzlich Versandkosten in Höhe von 6,50€ zahlen musste, wohingegen ein Android Nutzer keine weiteren Versandkosten zahlen musste. Schlussendlich bedeutet dies, dass Apple Nutzer 2,50€ mehr als Android Nutzer zahlen mussten, um dasselbe Produkt zu erhalten.

Auch die eigene IP-Adresse kann zu einem relevanten Faktor der individuellen Preisbildung werden. Valentino-Devries stellte im Jahr 2012 fest, dass der Konzern für Bürobedarf, Staples, Kunden unterschiedliche Preise basierend auf ihrem Standort vorschlug, welche sie anhand der IP-Adressen ermitteln konnte.

Relevanz der Fairness – Wissenschaftliche Einblicke

In einer von Priester, Robbery & Roth durchgeführten Studie aus dem Januar 2020 wurden die Effekte von individualisierter und segmentierter Preisbildung auf Faktoren, wie die Empfindung der Fairness von Konsumenten untersucht. Hierzu wurden die Probanden in zwei unterschiedliche Gruppen eingeteilt, beide Gruppen erhielten ähnliche theoretische Kaufszenarien eines Films an verschiedenen Standorten, jedoch wurden die Preise der einen Gruppe auf Basis von segmentierter Preisbildung geformt, wohingegen die andere Gruppe individuelle Preise präsentiert bekommen hat. Priester et al. konnten feststellen, dass sich die Gruppe der individuellen Preisbildung unfairer behandelt gefühlt hat.

Die Relevanz des Empfindens von Fairness und der Kaufbereitschaft des Kunden wurde ebenfalls von Schmidt, Bornschein & Maier untersucht. Eine höher empfundene Fairness bei dem Preis eines Produkts resultiert in einer größeren Zufriedenheit des Käufers und somit in einer höheren Kaufbereitschaft. Inwiefern die Kaufbereitschaft eines Kunden abhängig davon ist, wie fair der Kunde den Preis des Produkts einschätzt haben auch Richards, Liaukonyte & Streletskaya im Jahr 2016 untersucht. Im Rahmen ihrer Studie wurden die Preise von T-Shirts abhängig von den persönlichen Eigenschaften der Käufer gebildet. Hierbei weisen die Resultate der Studie ebenfalls daraufhin, dass die wahrgenommene Fairness eine entscheidende Rolle für die Kaufbereitschaft der Konsumenten spielt. Nur 4,9 Prozent der Probanden, welche den Preis als unfair empfunden haben gaben an, dass Sie das T-Shirt kaufen würden. Im Gegensatz dazu sagen 73 Prozent der Teilnehmer, welche den Preis als Fair erachteten, dass sie das T-Shirt erwerben würden.

Schlussfolgerungen für Verbraucher und Unternehmen

Die Analyse und Diskussion um individuelle Preisbildung, wie sie in den aufgeführten Studien und Beobachtungen dargestellt wird, enthüllt ein breitgefächertes Bild des modernen E-Commerce und der Preisstrategien von Unternehmen. Diese Methoden, die von Online-Marktplätzen wie Amazon, Reiseportalen, Fluggesellschaften und anderen kommerziellen Plattformen angewendet werden, basieren oft auf der Nutzung von Kundendaten zur Erstellung differenzierter Preise. Ein zentrales Element dieser Strategien ist die Verwendung von Kundeninformationen wie Gerätetyp, ob jemand Neukunde oder Bestandskunde ist, und sogar demografische Daten, um Preise dynamisch anzupassen. Preisdifferenzierung stellt eine Möglichkeit für Unternehmen dar ihre Umsätze zu steigern.

Die obenstehenden Abbildungen verdeutlichen diesen Mechanismus. Die rechte Abbildung zeigt hierbei, wie sich die Menge in Abhängigkeit zum Preis verhält. Man stellt sich vor ein Produkt kostet 11€, nun kann man mittels der Preisabsatzfunktion sehen, dass in etwa 14 Produkte abgesetzt werden, was einem Umsatz von 154€ entspricht. Die linke Abbildung zeigt, dass durch Preisdifferenzierung sowohl mehr Umsatz erwirtschaftet, als auch mehr Menge abgesetzt werden kann, wenn man unterschiedliche Preise auf unterschiedlichen Endgeräten verwendet. Geht man davon aus das Apple Nutzer liquider sind, da ein IPhone im Schnitt teurer ist als ein Android Smartphone, könnte Unternehmen den Preis bei Kunden, welche ein Apple Endgerät nutzen, anheben.

Dies wirft Fragen hinsichtlich der Loyalität und des Vertrauens zwischen Kunden und Unternehmen auf. Die psychologische Komponente der Preisgestaltung, insbesondere die Wahrnehmung von Fairness, spielt eine entscheidende Rolle in der Kundenreaktion und auf die Kaufbereitschaft. Diese Praktiken stellen Unternehmen vor die Herausforderung, einen Ausgleich zwischen effektiver Preisstrategie und der Erhaltung des Kundenvertrauens zu finden. Eine offene Kommunikation über Preisbildungspraktiken und die Sicherstellung, dass diese als fair wahrgenommen werden, sind wesentliche Aspekte. Kunden hingegen sollten sich der Existenz solcher Praktiken bewusst sein und proaktiv Preise vergleichen, um die besten Angebote zu finden.

Abschließende Worte

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass individuelle Preisbildung ein zweischneidiges Schwert darstellt. Einerseits ermöglicht sie Unternehmen, ihre Preise dynamisch und effizient anzupassen, andererseits birgt sie Risiken hinsichtlich der Kundenwahrnehmung und -beziehung. In einer zunehmend digitalisierten Welt, in der Daten eine immer größere Rolle spielen, wird die Balance zwischen personalisierter Preisgestaltung und ethischen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen zu einer entscheidenden Herausforderung für Unternehmen. Für Kunden bietet sich die Gelegenheit, durch erhöhtes Bewusstsein und Vergleich von Angeboten, die Vorteile dieser Entwicklung für sich zu nutzen, während sie gleichzeitig auf mögliche Fallstricke achten.